BMW führt Qualitätsprüfung per virtueller Handbewegung ein

Bei der BMW Group hat die vierte Industrielle Revolution bereits begonnen: Ein Projekt in der Stoßfängerfertigung des Werks Landshut zeigt, wie bereits heute im Produktionsalltag die virtuelle und die reale Welt verschmelzen können. Dank eines berührungslosen Gestenerkennungssystems werden Stoßfänger nach dem Durchlaufen der Lackiererei nun einer effizienten und hochzuverlässigen Qualitätskontrolle unterzogen – per Handgeste.
Innovation aus der Gaming-Welt.
Die automatisierte Gestenerkennung ist längst in verschiedenen Branchen wie dem Gaming-Markt angekommen: Mit einem Controller in der Hand denken wir nicht lange darüber nach, Bowling oder Golf direkt in unseren Wohnzimmern zu spielen.
Dass der Einsatz von kamerabasierten Gestenerkennungssystemen nicht nur im Freizeitbereich, sondern auch in der Automobilproduktion sinnvoll ist, beweist ein Pilotprojekt am Standort Landshut der BMW Group, das das Prinzip der Gestenerkennung in seinem Unternehmen anwendet Stoßstangenproduktion. Bevor Stoßfänger montiert werden, prüfen die Mitarbeiter die Qualität der Teile. Um ein 100%iges Qualitätsniveau zu erreichen, wird jede Abweichung vom Sollzustand in einem System erfasst und bewertet. Bisher mussten Werker das Ergebnis für jedes geprüfte Bauteil am PC dokumentieren. Dieser Aufbau kostete wertvolle Zeit, besonders wenn der PC nicht direkt am Prüfstand montiert werden konnte und man zu Fuß zu einem anderen Arbeitsplatz gehen musste, um die Daten einzuspeisen. Treten gleichzeitig mehrere Fehler an unterschiedlichen Stellen auf, wurde die Dokumentation komplexer und die Mitarbeiter mussten sich einige Details sehr genau merken.
Intelligentes Zusammenspiel von Mensch und Maschine.
In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut in Karlsruhe hat das BMW Group Werk Landshut an einer Lösung gearbeitet und ein Programm entwickelt, das Gesten erkennt und auswertet. „Das System erkennt die Interaktion zwischen Mensch und Stoßstange“, erklärt Ramona Tremmel, zuständige Projektkoordinatorin bei der BMW Group. „Eine Wischbewegung über das Bauteil markiert den Stoßfänger als makellos. Zeigt ein Arbeiter jedoch mit dem Finger auf eine fehlerhafte Stelle des Stoßfängers, registrieren Kameras diese Geste.“ Das Programm wertet das dann aus und speichert den Eintrag.
Gesteuert wird die Gestenerkennung über jeweils zwei 3D-Kameras, die über den Arbeitsplätzen angebracht sind. Sie sind mit Sensoren ausgestattet, die Infrarotlicht durch einen Filter ausstrahlen. Auf diese Weise wird ein unsichtbares Punktraster mit festen Koordinaten durch den Raum gestrahlt. Dazu wurde das 3D-Stoßfängermodell auf dem System hinterlegt. „Wenn ein Arbeiter auf die Stoßstange zeigt, ändern sich die Koordinaten bestimmter Punkte, weil sie von der Hand gespiegelt werden“, beschreibt Tremmel. Das System speichert die Daten und wertet sie aus, sodass der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz zur Bewertung der Stoßfänger nicht mehr verlassen muss. „Die erforderliche Sensorik ist so installiert, dass der Standard-Workflow nicht beeinträchtigt wird“, so Tremmel. Ein weiterer Vorteil: Arbeiter benötigen keine zusätzlichen Geräte wie spezielle Brillen oder Mikrofone. Das innovative System beschleunigt den Testprozess; zudem ist die Dateneingabe äußerst präzise. Laut Tremmel „haben die Arbeiter sehr positiv auf die neue Technologie reagiert. Die Gesteninteraktion ist einfach und leicht verständlich und kann intuitiv angewendet werden, ohne dass zusätzliche Einarbeitungszeit erforderlich ist. Die Menschen müssen nicht mehr zu anderen Arbeitsplätzen laufen und können sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren.“ Die Pilotphase ist erfolgreich abgeschlossen; die Vorbereitungen für den Einsatz des Systems in der Serienfertigung laufen derzeit.
Die BMW Group und Industrie 4.0.
Die BMW Group verfügt über ein hochmodernes Produktionsnetzwerk, das kontinuierlich weiterentwickelt wird. Einige der unter dem Begriff Industrie 4.0 zusammengefassten Ansätze, die aktuell Gegenstand öffentlicher Diskussionen sind, wurden bereits bei der BMW Group eingeführt oder befinden sich in der Rollout-Phase. „Die BMW Group betrachtet ihre Mitarbeiter als Schlüssel zu einer am Kundennutzen orientierten schlanken Produktion“, sagt Harald Krüger, Mitglied des Vorstands der BMW AG, Produktion. „Für die BMW Group bedeutet Industrie 4.0 also nicht eine Produktion ohne Menschen und auch nicht zwingend eine zunehmende Automatisierung. Vielmehr geht es darum, neue Technologien und Vernetzungsmöglichkeiten sinnvoll zu nutzen, um Menschen in Produktions- und Supportbereichen optimal zu unterstützen.“ Ausgeklügelte Mensch-Roboter-Systeme können ergonomisch ungünstige Arbeitsabläufe deutlich verbessern. Durch das Zusammenwachsen der digitalen und der physischen Welt ergeben sich neue Möglichkeiten für eine effizientere Zusammenarbeit im internationalen Produktionsnetzwerk der BMW Group. Mobile Assistenzsysteme werden Produktionsmitarbeiter künftig noch besser unterstützen. Dabei steht jedoch nicht die technische Machbarkeit im Vordergrund, sondern der konkrete Nutzen in Produktionstechnologien, die tatsächlich beim Endkunden ankommen.
BMW Group Werk Landshut.
Am Standort Landshut der BMW Group werden ca. 3.500 Mitarbeiter produzieren Motor- und Fahrwerkskomponenten aus Leichtmetallguss, Kunststoffkomponenten für das Fahrzeug-Exterieur, Kohlefaser-Karosseriekomponenten, Cockpit- und Ausstattungsumfänge, elektrische Antriebssysteme, Sonderantriebe und Antriebswellen.
Diese Komponenten werden weltweit an alle Fahrzeug- und Motorenwerke der BMW Group geliefert. Als Innovations- und Produktionszentrum der BMW Group für die Zukunftstechnologien Leichtbau und E-Mobilität ist das Werk Landshut frühzeitig in die Entwicklung neuer Fahrzeuge eingebunden.