Interview mit Christian Bauer, Leiter Interieur Design MINI

Christian Bauer ist seit Juni 2017 Leiter Interieur Design bei MINI. Vor seinem Wechsel zu MINI verantwortete der 43-Jährige das Interieur- und Detaildesign bei BMW i. Davor war er sowohl als Teammanager als auch als kommissarischer Geschäftsführer im BMW Interior Design and Detailing tätig.
Im folgenden Interview erklärt er, was insbesondere die Innenraumgestaltung zu einer immens herausfordernden Aufgabe macht, warum das Automobildesign vor einem vielleicht größten Paradigmenwechsel aller Zeiten steht und welche Rolle MINI dabei spielen wird.
1. Warum sind Sie Autodesigner geworden? ?
Der Job ist für mich Berufung und großes Privileg zugleich, denn als Designer haben wir die Möglichkeit, die Welt schöner zu machen. Schon als Kind habe ich zwei Dinge geliebt: Autos und Zeichnen. Ich hatte eine riesige Sammlung von Matchbox-Autos. Außerdem hatte ich das Glück, auch ständig von echten Fahrzeugen umgeben zu sein, da mein Vater viel Zeit damit verbrachte, an verschiedenen Modellen zu basteln. Und ich habe auch immer sehr gerne gezeichnet. Beide Leidenschaften zu verbinden und zum Beruf zu machen, lag also auf der Hand und die Möglichkeit, Transportation Design an der Hochschule Pforzheim zu studieren, bot den idealen Einstieg in den Beruf.
zwei. Welche Art von Dingen beflügeln Ihre Fantasie ?
Entwicklung, Zukunft – grundsätzlich fasziniert mich alles Neue. Ich kann es nicht ertragen, dass die Dinge stehen bleiben, und langfristig wird aus meiner Sicht nichts Gutes dabei herauskommen. Aufstieg liegt in der Natur des Menschen und beschäftigt uns alle schon in jungen Jahren; Meine eigenen Kinder zeigen mir immer wieder, was für eine Freude das ist. Ihre Freude, etwas zum ersten Mal zu erreichen oder zu verstehen, wird offen und direkt kommuniziert. Die Freude an der eigenen positiven Entwicklung ist für mich Ansporn und Faszination zugleich: Auch ich fordere mich ständig heraus, um mich weiterzuentwickeln und Neues zu schaffen.
3. Was inspiriert dich ?
Ich lasse mich vom Ungewöhnlichen und Unsichtbaren inspirieren. Jedes Mal, wenn jemand erfolgreich einen neuen Ansatz wählt, werde ich daran erinnert, dass wir manchmal zu sehr am Vertrauten festhalten. Neue Ansätze setzen oft auch neue Maßstäbe. Es lohnt sich also, neue Wege zu gehen, auch wenn es bedeutet, viele Hindernisse zu überwinden und echten Mut zu zeigen. Mich inspirieren Leistungen in allen möglichen Disziplinen – von Architektur über Biologie und Physik bis hin zu Design natürlich. Derzeit wird viel interdisziplinär gearbeitet, was einen großen Einfluss auf das Design haben kann. Sie haben zum Beispiel Biologen, die gemeinsam mit Ingenieuren an intelligenten Materialien arbeiten. Künftig könnten Oberflächen wie Leder, Stoff oder Holz zum Beispiel über Licht, Ton oder Bewegung kommunizieren. Funktionen und Komponenten werden zu einer Einheit verschmelzen und dabei völlig neue Möglichkeiten eröffnen.
Vier. Was ist für Sie gutes Design? ?
Gutes Design ist für mich immer ein Spiegelbild des jeweiligen Zeitgeistes, aber auch sehr eng mit der Person verbunden, an die sich das Produkt richtet. Unsere Sichtweise – und damit auch der vorherrschende Geschmack – ändert sich im Laufe der Zeit. Das dominierende Element im Design ist heute zum Beispiel Klarheit, weil die Welt, in der wir leben, hochkomplex geworden ist und wir mit Eingaben überlastet sind. Das heißt aber nicht, dass gutes Design immer den aktuellen Vorlieben entsprechen muss: Es gibt auch zeitloses Design. Alles in allem muss gutes Design meiner Meinung nach einen Mehrwert bieten – sowohl funktional als auch emotional.
5. Was gefällt dir an deiner Arbeit als Autodesigner am besten?
Design bedeutet für mich weit mehr als nur Formästhetik; Ich sehe es als etwas, das für und mit Menschen durchgeführt wird. Design generiert also immer einen Mehrwert, der mindestens ein Bedürfnis von Menschen oder Kunden befriedigt – sei es auch nur ihr Wohlbefinden. Mit anderen Worten: Design trägt dazu bei, das Leben besser zu machen. Daran aktiv mitzuwirken, darauf bin ich sehr stolz.
Außerdem liebe ich den Aspekt der Vorausschau, also auszuloten, welche Bedürfnisse Menschen in Zukunft entwickeln werden und wie wir ihnen am besten begegnen können. Diese visionäre Rolle ermöglicht es dem Design, als treibende Kraft hinter technologischen Innovationen zu fungieren und sogar Entwickler zu inspirieren. Das ist einer der aufregendsten und fesselndsten Teile meiner Arbeit.
6. Wenn es um Autodesign geht, denken die Leute eher an das Außendesign als an den Innenraum. Warum ist das so?
Das Exterieur bildet den ersten Berührungspunkt mit einem Fahrzeug. Es ist das erste, was Sie sehen, und es erzeugt direkte Emotionen. Das Styling des Exterieurs verleiht dem Fahrzeug bestimmte Attribute wie Kraft, Schnelligkeit oder Agilität, die ihm in der Summe einen unverwechselbaren Charakter verleihen. Und nicht selten setzt das Produkt ein Statement, indem es den Status und Charakter seines Fahrers klar zum Ausdruck bringt. Das äußere Design ist extrem wichtig. Doch was den Kunden auf Dauer bei der Stange hält – das belegen viele Studien – ist das Interieur.
7. Was ist das Besondere an Innenarchitektur?
Die wahre Bewährungsprobe für den Kunden kommt dann, wenn er tatsächlich ins Auto steigt – und das richtig zu machen, ist eine weitaus schwierigere Aufgabe. Wenn Sie sich im Fahrzeug nicht wohlfühlen, mit der Bedienung nicht zurechtkommen, die Materialien nicht mögen oder die Verarbeitungsqualität miserabel finden, dann werden Sie höchstwahrscheinlich kein anderes Auto der gleichen Marke kaufen . Ein Innenarchitekt muss sich in vielen Disziplinen auskennen. Sie müssen die Grundlagen der Ergonomie, des menschlichen Verhaltens, der Akustik, der Bedienlogik und vieles mehr kennen. Die Person darf sich in ihrer Bewegung in keiner Weise eingeschränkt fühlen, muss aber gleichzeitig geführt und gefesselt werden. Sie dürfen durch nichts geblendet werden und dennoch muss alles klar erkennbar sein. Und das nicht nur in einer konkreten Situation, sondern in der ganzen Bandbreite unterschiedlicher Bewegungsszenarien und Anwendungsfälle – von der Fahrzeugkonfiguration am Smartphone über das Einsteigen und Fahren bis hin zum Aussteigen. Und natürlich muss alles einfach und intuitiv zu bedienen sein. Dann kommt das i-Tüpfelchen: die Gestaltung der Oberflächen, die stimmige Optik der Teile, die Gesamtwirkung des Interieurs. Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass wir innerhalb ziemlich enger technischer Randbedingungen arbeiten, wie z. B. Steifigkeit, Crashverhalten, Schalldämmung, Kabelbäume und Materialwandstärken. Diese Randbedingungen müssen so manipuliert werden, dass mehr Raum und Freiheit für die eigentliche Gestaltungsaufgabe bleibt. Und seien Sie versichert, dass immer etwas im Weg sein wird. Eine Linie oder eine Fläche so sauber zu modellieren, dass sie nicht nur so aussieht, als würde sie die technischen Einschränkungen überdecken, ist an sich schon eine Herausforderung. Die Kunst der Innenarchitektur besteht darin, Emotionen zu wecken und einen Wohlfühlfaktor zu schaffen, während all diese komplexen Parameter berücksichtigt werden. Das Gefühl, wenn der Vorstand mit einem breiten Grinsen im Gesicht ein Serienfahrzeug-Interieur abnimmt, ist unbeschreiblich und eine echte Belohnung für all die Mühen.
8. Was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Zukunftsthemen für MINI und welche Rolle wird dabei das Interior Design spielen?
In der automobilen Welt ist derzeit viel im Umbruch. Vor dem hochkomplexen Hintergrund von Digitalisierung, autonomem Fahren und natürlich Elektromobilität wollen wir ein sinnvolles und emotional ansprechendes Produktangebot für kleinere Modelle im Premiumsegment schaffen. Wir bei MINI wollen diesen Übergang in die neue Welt sozusagen aktiv mit vorantreiben. Im Zuge dieser Evolution wird der Innenraumgestaltung eine ganz wesentliche Rolle zukommen. Eine angenehme und flexible Umgebung für die Fahrt von A nach B zu genießen wird immer wichtiger. Autonomes Fahren wird den Fahrzeuginnenraum verändern. Für viele Menschen wird das Fahrzeug nach dem Zuhause zum zweiten Lebensraum. Wahrscheinlich werden wir auch in Zukunft viel Zeit in unseren Autos verbringen – vielleicht sogar mehr als heute. Aber wir werden dort zunehmend auch andere Dinge erledigen können. Lesen, schlafen, online einkaufen oder mit den Kindern spielen; die Möglichkeiten scheinen endlos. Fahrzeuginnenräume müssen daher neuen Nutzungsformen Rechnung tragen. Und wir als Innenarchitekten haben die Fähigkeit, völlig neue Welten und Erlebnisse zu schaffen und Lebensqualität auf ein ganz neues Level zu heben. Hier erwarte ich den vielleicht größten Paradigmenwechsel im Automobilbau.
9. Wie wird das genau bei MINI aussehen?
Bei MINI dreht sich alles darum, das Erlebnis auf kleinstem Raum zu maximieren. Die technischen Anforderungen der Elektromobilität erfordern, dass Bauräume und Aufteilung neu gedacht werden müssen. Daraus erschließen sich enorme Potenziale für MINI. Auch die Interaktion mit Fahrzeugen wird eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Auch in Zukunft werden sich Kunden in einem MINI auf Anhieb und rein intuitiv zurechtfinden. MINI zeigt, dass Interaktion nicht langweilig sein, zu technisch aussehen oder kompliziert in der Bedienung sein muss. Wichtig ist: Wer in einen MINI einsteigt, fühlt sich auch in Zukunft rundum wohl. Und im Idealfall wollen sie auch nicht mehr raus.
10. Wie sieht für Sie das perfekte Interieur der Zukunft aus?
Ich glaube – und hoffe – es gibt kein perfektes Interieur, sonst wären wir arbeitslos! In Zukunft wird es sicherlich eine viel höhere Flexibilität und Verschmelzung aller beteiligten Bereiche wie Materialien, Displays, Bewegung, Sound, Aroma und Steuerung geben. Ich bin gespannt auf das, was vor uns liegt, und hoffe, dass Designer und Ingenieure gleichermaßen die Freiheit erhalten, etwas völlig Neues zu schaffen.